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Winter ohne Motorrad: Überlebenstipps für Biker

Wie Motorradfahrer den Winter überstehen – was tun gegen den Motorradentzug?
Winter ohne Motorrad: Überlebenstipps für Biker
Marathon Rallye Dakar: das grösste Motorradabenteuer. (Foto: Dakar – Médiathèque ASO)

Autofahrer, lernten wir in der letzten Ausgabe von BONANZA, leiden mitunter an AGS – Automobiler Genusssucht. Was wir damals noch nicht wussten: Auch Motorradfahrer kennen mobilitätsbedingte Krankheiten, insbesondere eine namens PMS, und sie trifft auch männliche Biker.

Sind Sie reizbar, dünnhäutig, und Ihr Umfeld leidet unter Ihrer miesen Laune? Das gleicht meinem Krankheitsbild – auch Sie leiden womöglich unter PMS, dem «Parked Motorcycle Syndrome»! Es befällt Motorradfahrer beiderlei Geschlechts, wenn das geliebte Zweirad unbewegt in der Garage steht. Während andere Wintersport treiben, leide ich unter sinkenden Temperaturen, Laub auf den Strassen und unter der weissen Pest: Schnee. Für viele Saisonfahrer ist es mit einem Handgriff getan: Motorrad in die Garage, abwarten. Doch für uns Ganzjahresfahrer beginnt eine schwere Zeit. Wie wir überleben? Verrate ich Ihnen.

Saisonfahrer schicken ihr Moped in den Winterschlaf. Ab in die Garage, und jetzt: Ölwechsel, Tank füllen, abmelden, Batterie raus, Decke drüber. Dann geniessen sie den Winter.


Filme, Bücher und Inspiration

Der Klassiker «Long Way Round» mit Ewan McGregor und andere Abenteuerreisen sind ideale Wintertherapien für Biker auf Entzug. Vor 20 Jahren fuhr er mit seinem alten Kumpel Charley Boorman immerzu nach Osten: durch die Mongolei und über die berüchtigte Road of Bones in Sibirien. Spannend und äusserst unterhaltsam. Es folgten «Long Way Down» durch den afrikanischen Kontinent und «Long Way Up» auf elektrischen Harleys von Feuerland nach Nordamerika. Da kommt der vierte Teil, «Long Way Home», gerade recht. Egal, wie lang der Winter ist, das Angebot an Motorradliteratur ist unerschöpflich: Reiseberichte, Reparaturanleitungen, Ratgeber, Magazine zu den schönsten Strassen, liebevoll kuratierte Bildbände und Motorradcomics füllen Regale. All das inspiriert zu eigenen Plänen.


Benzingespräche und Konsum

PMS-Patienten treffen sich zur Gesprächstherapie – getarnt als Stammtische. Bei diesen Selbsthilfegruppen wird gefachsimpelt, werden Um- und Anbauten diskutiert, über neue Modelle sinniert und Pläne geschmiedet. Ein Besuch beim «Freundlichen», wie der Händler und Garagist in Fachkreisen genannt wird, hat auch noch niemandem geschadet – ausser dem Kontostand. Wenn reduzierte Ware auf reduzierte Widerstandskraft trifft, wird aus einer Tasse Kaffee schnell ein Shopping-Marathon. Neue Helme, Stiefel, Hosen, Jacken und natürlich Freizeitkleidung mit dem Markenlogo heben die Stimmung, zumindest vorübergehend. An Wochenenden wird bestellt, was das Internet hergibt.


Motorradmessen

In der Deutschschweiz gibt es keine grössere Motorradmesse mehr: 2021 fand die letzte Swiss Moto in Zürich statt. Das nachfolgende Moto-Festival in Bern überlebte nur zwei Jahre und traf auf wenig Liebe in der Szene. Also ab in den grossen Kanton: Ende Januar lockt die «Motorradwelt Bodensee» Motorradfans nach Friedrichshafen. Allerdings ist auch dort ein Schrumpfprozess zu beobachten: weniger Hersteller, weniger Hallen, weniger Besucher. Ich fahre gerne hin. Dort gibt es alles, was das Bikerherz begehrt, und das zu Messepreisen. Die Harten, die mit dem Motorrad anreisen, werden mit freiem Eintritt belohnt.


Das letzte grosse Abenteuer: Rallye Dakar

Das neue Jahr beginnt, die Rallye Dakar startet. So lautet das Gesetz. Das «letzte grosse Motorradabenteuer» findet seit 1979 statt, ursprünglich führte es von Paris nach Dakar. Nach einem Intermezzo in Südamerika findet der wilde Ritt seit 2020 in Saudi-Arabien statt: Auf Rallye-Motorrädern hämmern die Piloten dort durch endlose Sand- und Steinwüsten. Sie müssen nebenbei noch nach einem sogenannten Roadbook navigieren und herausfordernde Etappen bewältigen, deren Länge für gut trainierte Motorradfahrer schon auf der Strasse eine Herausforderung wäre: Bei der 48-stündigen Marathonetappe sind 950 Kilometer zu bewältigen, die Rallye dauert zwei Wochen mit nur einem Ruhetag. Neben den Profis starten auch Privatfahrer, die sich ohne Unterstützung durch Mechaniker oder Team durchbeissen.

Und wie jedes Jahr fiebere ich vor dem TV mit, erfreue mich an den atemberaubenden Landschafts- und Momentaufnahmen, freue und leide mit den Fahrern und Fahrerinnen, wenn Norbert Ockenga, die «Motorsport-Stimme Deutschlands», sachkundig kommentiert, seit 25 Jahren ist er bei Eurosport und nun auch in seinem «Pitcast»-Podcast zu hören. Notabene: Autos, Quads und Trucks nehmen ebenfalls teil. Mich interessieren jedoch nur Motorräder, die Classic-Fahrzeuge und Trucks.

Videos

Unzählige Kanäle bei YouTube lenken uns vom PMS ab: An der YouTube- Universität lernt man, wie man besser um die Kurve kommt oder den Vergaser reinigt, welche Ausrüstung man zum Reisen dabeihaben sollte und ­ welches Budget benötigt wird, um einmal auf zwei Rädern um den Globus zu fahren. Für Inspiration ohne Transpiration ist ausreichend gesorgt.

Winterflucht

Wenn Nebel das Schweizer Mittelland belagert, mitunter wochenlang, kann man sich kaum vorstellen, dass anderswo noch die Sonne scheint. Fun Fact: Es scheint jeden Tag die Sonne – irgendwo. Man muss sie nur suchen: Motorrad in den Transporter (wohl dem, der einen besitzt) und ab in südlichere Gefilde. In der Nähe des Gardasees gibt es einen Enduropark und selbst im Dezember und Januar Temperaturen um die 15 Grad. Kurz: ideal.

Die Man Cave

Meine Werkstatt ist meine Man Cave. Sie bietet Zuflucht vor der winterlichen Wirklichkeit. Hier kann ich dem Alltag entkommen und bei meinen Bikes die Zeit vergessen. Mein Werkzeug, Handbücher, der Geruch von Benzin und Öl in der Luft, Motorräder und ich. Manche PMS-Betroffene geniessen einfach nur den tröstenden Anblick ihres Mopeds, auf einem Schemel, ein hopfenhaltiges Kaltgetränk in der Hand. Und nicht jede Schrauberhöhle ist spartanisch eingerichtet. Diverse Werkstätten sind äusserst wohnlich, Sofas, Sessel, Kühlschrank, Bilder und Poster an den Wänden – alles da.


«Nur kurz was schrauben …»

Es gibt immer etwas am Motorrad zu schrauben. Und damit sind wir schon wieder beim Konsum. Wer selber schraubt, weiss: Irgendwas fehlt immer. Entweder ein spezielles Werkzeug oder ein Ersatz- oder Kleinteil, zum Beispiel ein Dichtungsring für 60 Rappen, den ich bereits in zehn Grössen herumliegen habe – nur nicht in der passenden.

Der Winter ist die Zeit, um das Motorrad zu perfektionieren. Klar, im Sommer fährt man ja ständig. Ein neues Fahrwerk, eine bequemere Sitzbank oder coole Accessoires – es gibt immer etwas zu verbessern. Das Bessere ist der Feind des Guten. Darum darf und soll man sich ruhig mal selbst beschenken.


Werkzeuge

Werkzeug kaufen macht Spass. Es spielt keine Rolle, was man schon besitzt: Gute Tools hat man nie genug. Es schadet auch nicht, dieses doppelt oder dreifach zu besitzen. Auf drei Dinge achte ich beim Kauf: Qualität, Qualität und Qualität. Mit qualitativ hochwertigem Werkzeug zu werkeln, steigert das Spasslevel beträchtlich. Ausserdem schont es Material, Nerven und Gesundheit. Schon darum ist es eine lohnende Investition.


Sportliche Auszeit

Motorradfahren macht nicht schlank. Wir bewegen uns zwar – aber halt nicht selbst. Das gilt aber nur fürs Fahren auf der Strasse. Für alle, die sich im Winter fit halten wollen, hier die Lösung: Trialfahren. Hier trainiere ich im Gelände das Überqueren von Baumstämmen, Felsstufen und sonstigen Hindernissen, ohne mit dem Fuss den Boden zu berühren. Es geht nicht um Geschwindigkeit, sondern um Balance, Konzentration und Technik. Dieser Sport beansprucht den ganzen Körper, ohne dass es sich nach Anstrengung anfühlt. Und das Beste: Kälte und schlechtes Wetter sind keine Ausrede – beim Trialfahren wird einem garantiert warm.

Wenn das Motorrad steht, kann man sich um die ungezählten Videos und Bilder kümmern, die man schon seit Jahren sichten möchte. Diesen Winter werde ich es tun. Bestimmt.

Ab und zu gehe ich in die Garage, schaue mein Motorrad an, streichle über die Sitzbank. Und wenn das gegen mein PMS nicht hilft, drehe ich halt ein paar Runden in der Tiefgarage. Am 21. Dezember ist für PMS-Erkrankte übrigens ein Feiertag: Dann werden die Tage nämlich wieder länger.

Wenn also passionierte Biker über die Wintertage grumpy sind, nicht persönlich nehmen – es liegt fast immer am PMS. Und wenn Sie zu den Betroffenen zählen: Keine Sorge, das nächste Frühjahr kommt bestimmt. Bis dahin heisst es: durchhalten!

(Dieser Artikel erschien mit dem Titel "Harte Kämpfe gegen PMS") im Magazin Bonanza 01-25)

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